Wolke 7


Das Deutsche kennt ein wunderbar leichtes Bild für das Glück: auf Wolke sieben zu schweben. Dieses Bild ist nicht willkürlich entstanden. In der antiken Philosophie galt der siebte Himmel als Inbegriff der göttlichen Nähe; im Talmud, im Koran und bei Aristoteles markiert die siebte Sphäre das höchste Streben nach Erfüllung. Wer auf Wolke sieben ist, hat sich – in Rilkes Worten – vom Alltäglichen befreit und berührt jene verlorenen Himmel, die zwischen Philosophie und Literatur in einem einzigen glänzenden Bild zusammentreffen.

Doch die Übersetzung dieser Metapher offenbart sogleich ihre Zerbrechlichkeit. Im Italienischen erklingt ein anderer Ton: Hier sagt man essere al settimo cielo, wörtlich „im siebten Himmel sein"; die Wolke selbst wird im idiomatischen Gebrauch zurückgedrängt, etwa zugunsten von avere la testa fra le nuvole („den Kopf in den Wolken haben"), was nicht Glück, sondern Zerstreutheit suggeriert. Der Übersetzer steht vor einem Balanceakt: Soll die poetisch-leichte Wolke des Deutschen bewahrt werden, oder die metaphysische Tiefe der italienischen Himmels-Sphäre?


Dante und die Wolke der Sterblichkeit

In der klassischen Literatur findet diese Spannung ihren tiefsten Widerhall. Bei Dante Alighieri wird die Wolke zur Schwelle zwischen zwei Welten. In der Divina Commedia erscheint sie nicht als Leichtigkeit, sondern als das zu Überwindende: Sie ist die Trübung, die Verhüllung, die Fesseln der Sterblichkeit selbst. Dante beschreibt das göttliche Licht als ein Strahlen, das durch Wolken bricht – die Wolke wird zur Grenze, die Aufstieg ermöglicht und zugleich hindert. Der Weg zum Paradies führt durch und über die Wolken hinaus; sie sind nicht Ziel, sondern Hürde auf dem Weg zur Erleuchtung.


Ungaretti – Die Vergänglichkeit des Glücks

Fünf Jahrhunderte später, im Modernismus des 20. Jahrhunderts, betritt Giuseppe Ungaretti diese metaphorische Landschaft mit ganz anderer Geste. Einer der wichtigsten Dichter seiner Zeit, begegnet er der „Wolke" mit existenzieller Kompression. Seine berühmtesten Verse verdichten Glücks- und Leichtigkeitsmomente auf eine fast erleuchtende Pointe: M'illumino d'immenso („Ich erleuchte mich am Unermesslichen.")

Doch bei Ungaretti nimmt die Wolke eine neue Bedeutung an. In seiner Sammlung „Allegria di Naufragi" begegnet die Wolke als Bild für das Flüchtige, Ephemere der Freude selbst: La gioia è breve come una nube („Die Freude ist kurz wie eine Wolke.") Während Dante die Wolke mystisch-kosmisch als Hürde zwischen Welten versteht, denkt Ungaretti diesseitig und menschlich: Die Wolke ist hier das kostbare, aber vergängliche Glück selbst – ein Wetterphänomen, das kommt und vorbeizieht.

Und doch sind beide Dichter Brüder im Geiste: Ihr Blick richtet sich nach oben – zur metaphysischen, ästhetischen oder existenziellen Wolke, die bewegt, verhüllt und zum Träumen einlädt.


Der Übersetzer zwischen den Welten

Der Übersetzer aber steht an jenem Ort, wo die Metapher ihre gefährlichste Form annimmt: im Augenblick ihrer Übertragung. Denn zwischen Wolke sieben und settimo cielo liegt nicht nur ein semantischer Unterschied, sondern eine ganze kosmologische Verschiebung – eine Verschiebung, die das Wesen der Metapher selbst berührt.

Walter Benjamin hat dies präzise erfasst, wenn er schreibt, dass jede Übersetzung an der „Unübersetzbarkeit" arbeiten müsse – nicht trotz, sondern durch die Differenzen hindurch. Die deutsche Redewendung gründet in der Sinnlichkeit des Schwebens, in jenem Moment, da das Körperliche sich vom Alltag entbindet. Das Italienische dagegen bewahrt die theologische Architektur, die starre Hierarchie der Sphären, in denen Glück nicht Schwebezustand, sondern kosmische Position ist. Deutsches Flottant-Sein gegen italienische Fixierung – zwei Wahrheiten, die sich ausschließen und doch beide wahr sind.

Hier offenbart sich die tiefere Problematik: Der Übersetzer kann nicht einfach erleuchten, er muss wählen. Und jede Wahl ist eine Form der Untreue – gegenüber der einen oder anderen Sprache, gegenüber der sinnlichen oder der metaphysischen Wahrheit der Metapher. Dante würde die deutsche Wolke vielleicht für zu leicht befunden haben, zu schnell verflüchtigt; Ungaretti hätte die italienische Sphärenlehre möglicherweise für zu starr empfunden, zu wenig dem Moment ergeben.

Die Kunst des Übersetzers liegt darin, diese Spannung nicht aufzulösen, sondern sie produktiv zu machen – in jene Übersetzung hineinzuziehen, damit der Leser jenes Beben erfährt, das zwischen den Welten entsteht, wenn eine Metapher ihre Heimat verliert und eine neue suchen muss. Die Wolke wird zur Schwelle zwischen Sprachen, und in dieser Schwelle offenbaren sich die verborgenen Wahrheiten beider.