
Familienmutter
Familienmutter: Rolle, Konstruktion und Potenzial im gesellschaftlichen Wandel
Der Begriff „Familienmutter“ ist nicht bloß eine biologische Bezeichnung, sondern ein komplexes gesellschaftliches Konstrukt, dessen Bedeutung und Funktion sich historisch gewandelt haben und weiterhin wandeln. Eine analytische Betrachtung muss sowohl die kulturellen Normen als auch die Machtverhältnisse bedenken, die an diese Rolle geknüpft sind.
Simone de Beauvoir prägt die fundamentale Einsicht:
„Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“
Damit verweist sie darauf, dass Mutterschaft nicht natürlich determiniert, sondern gesellschaftlich konstituiert ist. Sie sieht in einer selbstbestimmt gelebten Mutterschaft ein Potenzial für Emanzipation, das gegen die tradierten Rollenzuschreibungen wirkt.
Judith Butler erweitert diese Perspektive im Sinne der Performativität:
„Der Körper ist eine Situation.“
Mutterschaft ist demnach kein rigides biologisches Schicksal, sondern eine durch soziale Praktiken immer wieder neu hervorgebrachte und veränderbare Identität. Diese Sichtweise eröffnet die Möglichkeit, eingefahrene Geschlechterrollen aufzubrechen und neu zu verhandeln.
Pierre Bourdieu weist auf die prägenden Einflüsse sozialer Umfelder hin, gleichzeitig betont er die transformative Kraft von Sprache und Symbolen:
„Tatsächlich üben Worte eine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln.“
Dies unterstreicht die Verantwortung und das Potenzial von Familienmüttern, gesellschaftliche Normen aktiv mitzugestalten.
Aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass die Erwartungen an die Familienmutter weiterhin restriktiv sind. Studien aus 2024 formulieren:
„Eine ‘gute’ Mutter ist verantwortlich für umfassende Fürsorge und wird in ihrer Arbeitszeit auf Teilzeit nach Karenz festgelegt, mit beruflichen Karriereambitionen wird skeptisch umgegangen.“ (Zartler et al., 2025)
Nancy Fraser analysiert die Problematik der Care-Arbeit im kapitalistischen System und fordert radikale gesellschaftliche Umstrukturierungen:
„Eine Krise der sozialen Reproduktion erfordert, dass Care-Arbeit gleichberechtigt verteilt und wertgeschätzt wird.“
Care-Arbeit darf nicht länger das ungeliebte Anhängsel der produktiven Erwerbsarbeit bleiben.
Barbara Thiessen beschreibt den Balanceakt moderner Mutterschaft zwischen Re-Naturalisierung und Diskursivierung von Genderrollen:
„Die gesellschaftliche Idealisierung von Sorgearbeit steht im Widerspruch zur ökonomischen Entwertung dieser Arbeit.“
Diese ambivalente Rolle wird durch empirische Studien bestätigt:
„Care-Arbeit, auch unter erschwerten Bedingungen wie psychischer Erkrankung, wird überwiegend von Müttern geleistet.“ (2024)
Die Rolle der Familienmutter ist ein umkämpftes Feld zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, unsichtbarer Care-Arbeit und dem Potenzial für gesellschaftliche Gestaltungsfreiheit. Die kritische Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Modellen zeigt, dass Mutterschaft keine biologische Zwangsrolle ist, sondern ein soziales Konstrukt, das prinzipiell offen für Veränderung ist. Gesellschaftliche Gleichstellung und Wertschätzung von Care-Arbeit bleiben zentrale Herausforderungen, die nur durch bewusste Neugestaltung der Familienrollen bewältigt werden können.
Quellenangaben
- Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, 1949.
- Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 1990.
- Pierre Bourdieu, Werke zur Soziologie und Machtanalyse.
- Ulrike Zartler, Eva-Maria Schmidt, Fabienne Décieux, „NorM – Normen rund um Mutterschaft“, 2025.scilog.fwf
- Nancy Fraser, Der Allesfresser, Suhrkamp 2023.wirtschaft-ist-care+2
- Barbara Thiessen, „Mutterschaft zwischen Re-Naturalisierung und Diskursivierung von Gender und Care“, 2024.netzwerk-fgf.nrw
- Diverse empirische Studien zu Care-Arbeit und Familie, 2020–2025.academia+2
- https://scilog.fwf.ac.at/magazin/die-gute-mutter-ein-unerreichbares-ideal
- https://wirtschaft-ist-care.org/zitate/
- https://www.philomag.de/artikel/nancy-fraser-wir-muessen-die-werte-auf-den-kopf-stellen
- https://www.iss-ffm.de/fileadmin/assets/veroeffentlichungen/downloads/Equal_Care_Dossier_2_2023.pdf
- https://www.netzwerk-fgf.nrw.de/fileadmin/media/media-fgf/download/publikationen/journal_51.pdf
- https://www.academia.edu/50213019/Mutterschaft_und_Wissenschaft_Die_Un_Vereinbarkeit_von_Mutterbild_und_wissenschaftlicher_T%C3%A4tigkeit
- https://link.springer.com/article/10.1007/s11614-024-00581-3
- https://phaidra.univie.ac.at/open/o:1294210